Im Mai wurde ein Gemälde von Leonora Carrington für über 28 Millionen Dollar versteigert. Was soll’s, könnte man meinen, wer ist noch überrascht von solchen Preisen für Kunstwerke?
Und doch ist dies ein wichtiges Ereignis: (Surrealistische) Künstlerinnen, die viele Jahre in Vergessenheit geraten waren, treten aus dem Schatten hervor und erlangen nicht nur Anerkennung, sondern auch einen hohen Marktwert. In der Kunstwelt bestätigt nichts den Wert eines Werks so
überzeugend wie die Millionen, die dafür gezahlt werden! Vielleicht ist dies sogar ein Premiumtrend, der zwei Kategorien verbindet: Frauen und Surrealismus. Auf jeden Fall gab es dafür einige wichtige Vo- raussetzungen:
Zum einen wurden 2022 auf der Art- Biennale in Venedig Werke von nahezu 200 Frauen ausgestellt – bei 213 Teilnehmer:innen. Kuratiert von Cecilia Alemani, der fünften Frau ever in dem Job, in 125 Jahren. Alemani entnahm auch den Titel der Biennale, „Milk of Dreams“, dem gleichnamigen Buch einer Frau: Leonora Carrington. Surrealistische Künstlerinnen bekamen sogar einen besonderen Platz im Hauptpavillon. Im historischen Teil sah man Gemälde von Leonora Carrington, Dorothea Tanning, Remedios Varo.
Der nächste Anstoß war das Jubiläum zu 100 Jahre Surrealismus, das 2024 groß gefeiert wurde. Die Werke von Künstlerinnen wurden endlich in gro- ßen Ausstellungen gewür- digt. Vor 100 Jahren wies man Frauen die Rolle der Muse zu, die den männli- chen Kunstschöpfer beglei- tet und inspiriert – mehr nicht. Damals schufen Künstlerinnen ihre Werke im Schatten der männlich ge- prägten Kunstwelt, ohne Aussicht auf Anerkennung. Zahlreiche retrospektive Ausstellungen brachten nun vergessene Namen und un- terschätzte Meisterwerke ans Licht und bereiteten so den Weg für die achtstellige Auktionssumme.
Das ist ein Durchbruch! Die größte Sensation dieser Art war bislang die Verstei- gerung eines Gemäldes der zeitgenössischen Künstlerin Yayoi Kusama für sieben Millionen Dollar – fast viermal höher als die Auktionsschätzung. In den Top Ten der teuersten Kunstschaffenden sind zwar weiterhin ausschließlich Männer, aber die Frauen ziehen nach. Auch die Zusammensetzung der Kunstkaufenden ändert sich – immer mehr Frauen sammeln Werke zeitgenössischer Künstler:innen. Im letzten Bericht der Art Basel wurde erwähnt, dass Frauen durchschnittlich etwa 72.000 Euro in Kunst investieren, während Männer weniger als 60.000 Euro für ein Werk bezahlen. Vielleicht geht da persönliche Wertschätzung vor Kalkül, was den Kunstmarkt nur beleben kann. Denn welche Rolle spielt der Preis, wenn das Werk dich überzeugt hat? (Julia Vorozhtsova, www.Finanzielle.de, 4/2004)